Von der Pferdestärke zur Pferdeintelligenz

Pferdestärken technisch zum Hundertfachen in der Autoleistung zu bündeln ist kein Thema mehr. Du kriegst so viel PS wie du willst. Doch dem Gefährt auch nur ein Quäntchen Pferdeintelligenz einzuhauchen, ist die aktuelle Herausforderung, die die Automobilindustrie umtreibt. Und ist dies denn endlich vollbracht, ist es letztlich der Mensch, der nicht spurt wie er soll.

Elektronik-Forschungsleiter Dr. Ralf Bergholz, VW AG, prägte den Begriff der Pferde-Intelligenz, die beim Übergang vom Fuhrwerk zur Motorkutsche verlorengegangen sei. Mag der Kutscher auch noch so besoffen gewesen sein, das Pferd trat auch ohne Sprachbefehl den Heimweg an, blieb auf der Straßenspur, umging situativ Hindernissen und prallte sicher nicht auf ein vor ihm befindliches Fuhrwerk, auch wenn dies just seine Nebelwarnleuchten ausgeschaltet hatte.

Auch damals vermochte der aus dem Schlaf hochgeschreckte Kutscher mittels eigener Verplantheit und Hysterie, das verlässliche Assistenzsystem zu irritieren und auszuschalten, um dann das Fuhrwerk verlässlich in den Graben zu bugsieren.

Nicht viel anders ist die Situation heute: Intelligente Fahrerassistenz-Systeme unterstützen beim schleuderfreien Bremsen, der Fahrspurhaltung, Geschwindigkeitskontrolle und sicherem Abstand zu vorausfahrenden Fahrzeugen, wenn denn nicht der bekloppte Fahrer meinen würde, er könne es allein besser als das Assistenzsystem. Die Ablehnung von bevormundenden Verfahren und Techniken ist als Reflex persönlicher Freiheit zu verstehen: Der Fahrer will nicht zum noch so sicher transportierten Fahrgast degradiert werden, weil er sich so seiner Selbstbestimmung beraubt fühlt inklusive möglicher Heldentaten am Steuer und glücklicher Adrenalin-Boosts nach brenzligen Situationen.

Etwas anders ist die Situation des heutigen Autofahrers im Vergleich zum Kutschers von damals insofern, dass unsere bestehenden Assistenzsysteme mit der Pferdeintelligenz noch lange nicht mithalten können, veranschaulicht an folgender Situation: „Hinter einer Autobahnkurve liegt ein umgestürzter Lkw. Ein Auto mit automatischer Spurhaltung, das strikt zwischen rechtem Rand- und Mittelstreifen fährt, kommt um die Kurve. Ausweichen ins freie Feld ist die einzige Chance. Wenn das System jetzt nicht das Überfahren des Randstreifens gestattet, bringt es den Fahrer um. Der Abbruch des Automatik-Modus muss also jederzeit möglich sein.“ Dieses Dilemma der Automatisierung skizzierte bereits vor Jahren Daimler-Benz-Forscher Dr. Arn Hosemann. Hier ein weiteres Beispiel für einen im wahrsten Sinn des Wortes automatischen Gewissenskonflikt: Ein intelligentes Auto befindet sich im Winter auf einer schneebedeckten unbefahrenen Straße. Soll es dem menschlich gelenkten Fahrzeug vor sich folgen, das sich ohne sichtbare Bodenmarkierungen einen eigenen Weg durch den Schnee pflügt oder seiner programmierten Ortung folgen, die die Fahrspur einen Meter weiter rechts festlegt?

Und selbst wenn solche Probleme gelöst sind, treiben weiterhin die Begehren unseres Unterbewusstseins nach Autonomie, Kontrolle und Macht, gesellschaftlicher Anerkennung bei gleichzeitigem Bedürfnis nach Abkapslung von der Außenwelt, jene Auto-Trends voran, die unser archaisches Ego befriedigen.